2022-09-18
Natur funktioniert nach dem Prinzip, „Erkennen, Bewerten, Lernen und Vergessen“. Jeder kennt das irritierende Gefühl, wenn man feststellt, dass man sich ein einen kurz zurückliegenden Ablauf, etwa die Fahrt ins Büro oder den Gang in die Küche, überhaupt nicht erinnert. Der Eindruck, man wäre in Trance unterwegs gewesen, hinterlässt das Gefühl des Kontrollverlustes. Tatsächlich hat man diesen Ablauf völlig routiniert und sicher gemeistert und einfach sofort wieder vergessen. Es ist dabei nichts passiert, was wert gewesen wäre, sich daran zu erinnern.
Das Gehirn beherrscht das gut. Navigiert uns unbewusst durch Milliarden Eindrücke, sortiert Unwichtiges sofort wieder aus, weist uns auf Bemerkenswertes hin, das schieben wir dann in die Abteilung „Nachdenken und Lernen“ wo wir, gemeinsamen mit den Abteilungen „Lust“ und „Hunger“ unsere bewusste Wahrnehmung haben. Und auch diese Abteilungen haben einen sehr großen Vergesseimer auf der einen Seite und einen kleinen, stabilen Erinnerungsschrank auf der anderen Seite. Der ist etwas größer als das Gedächtnis eines Stammtisches, aber nicht viel. Dort kommen die verarbeiteten Erkenntnisse hinein, wild und unsortiert, versehen mit einem unverständlichen, aber wirkungsvollen Ordnungssystem aus Gefühlen und einem weiteren Ordnungssystem, das klarer ist, aber nur sehr viel weniger Einträge im Schrank erreicht, der Logik.
Überall im Schrank stehen dazu noch Hinweisschilder: „Vergiss es“, an die sich Gefühle und Logik mehr oder weniger selektiv halten.
Vergessen ist die wichtigste Übung im Gedächtnis, denn nur so kann eine Ordnung bestehen. Vor dem Vergessen steht das Lernen, nämlich den Erinnerungsbrei so auszukochen, dass die Essenz übrig bleibt. Je essenzieller eine Erinnerung, desto besser ist ihr Platz im Schrank.
Vergessen ist eine Natur- und Kulturkompetenz. Es gibt keine „Vergessmaschine“, es gibt nur Haufen mit Vergessenem. Die Wahrheit ist das, was im Schrank der Erinnerung bleibt. Und der wird ständig neu aufgeräumt.
Admin - 21:16:41
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