2022-05-22
Ich las kürzlich ein sehr anregendes Buch über Charles Darwin und Karl Marx. Es ist nicht überliefert, ob die beiden sich jemals getroffen haben, aber sie haben zeitgleich in London gelebt und die Geschichte spielt mit einer Begegnung dieser beiden so verschiedenen Revolutionäre, von denen der eine das Individuum und der andere die Gesellschaft in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt. Marx erklärt in dieser Geschichte abfällig, Darwin sei ein Opportunist. Diese Aussage blieb bei mir hängen.
„Survival of the fittest“ – das Überleben der Anpassungsfähigsten – ist tatsächlich ein Hohelied des Opportunismus. Die Geschmeidigen, die immer wissen, wo der Wind her weht, die haben das Geld. Die Menschheit - kleiner als Elefanten, langsamer als Raubkatzen, schwächer als Bären, flugunfähig (ursprünglich), miserable Schwimmer – hat sich als herrschende Art durchgesetzt, nicht zuletzt wegen ihrer Anpassungsfähigkeit. Die Menschen sind für nichts optimiert, es sein denn für die Veränderung. Und die, die es nicht sind, führen den verzweifelten Kampf der Konservativen, den sie am Ende doch verlieren, aber erst, wenn es ihnen egal ist. Denn eigentlich ist der Konservative im Grund seines Herzens ein Opportunist.
Opportunismus erscheint das Gegenteil von Innovation zu sein. Nicht mit Ideen die Welt verändern, sondern die Veränderung nehmen, wie sie kommt. Eher ist es Resilienz, verbunden mit der Fähigkeit, fremde Kräfte nicht nur auszuhalten, sondern aktiv zu nutzen. Dabei kann durchaus Neues entstehen, mehr zufällig als geplant, weil es halt geht. Als Prinzip ist es jedenfalls sicher erfolgreich.
Das Einzige, was fehlt: der gestalterische Anspruch. Opportunisten reagieren. Damit überlassen sie die eigentliche Macht anderen, die mit Ideen und Konzepten versuchen, die Welt zu verändern. Die Innovativen, die voranschreiten, als mächtige Anführer.
Aber die mächtigen Anführer haben in der Geschichte oft nicht überlebt. Überlebt haben die Opportunisten.
Admin - 20:27:22
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