2023-11-12
Heute Morgen in der Schlange zum Bäcker standen hinter mir zwei junge Frauen, die sich über die Defizite von Kindern unterhielten. Die eine war vom Fach, die andere war Mutter. Es ging darum, on das Kind der Mutter in dieses eine Programm schon hineinkäme, oder ob man es besser mit einem anderen versuchen solle. Kurz schweiften sie ab, dass es all diese Dinge früher ja nie gab und dass man heute so viele Angebote hätte. Irgendwann war ich gottseidank dran, beim Bäcker.
Aber es ließ mich nicht los. Beide waren akribisch auf der Suche nach Fehlern an Kindern, die sie ausbessern könnten. Das fand ich bedenklich. Vor allem wegen der Kinder, denn wenn die mehr über ihre Defizite als über ihre Möglichkeiten definiert werden, was soll aus denen werden? Herumlaufende Fehler?
Ich dachte darüber nach. Woran liegt es, dass wir überall, nicht nur bei den Kindern, immer als erstes akribisch nach Fehlern suchen. Ich kam erst auf Unsicherheit, dann aber, und das wiegt schwerer, auf Geschäftsmodelle. Es hat sich eine Kultur des Fehlersuchens breitgemacht, denn an Fehlern lässt sich Geld verdienen. Therapeuten, Journalisten, Erfinder, Politiker, alle profitieren sie von Fehlern, sobald sie einen Namen haben.
Da Richtig und Falsch als absolute Begriffe nicht existieren, sind Fehler sich ja an sich immer relativ. Aber es ist sehr einfach, mehr oder weniger ins Blaue hinein, sei es mit einer Studie oder mit einer Behauptung, Fehler zu benennen, ja anzuklagen, und dann Mittel anzubieten, diese Fehler zu korrigieren. Es ist quasi eine Wunderquelle an Verdienstmöglichkeiten, in einer übersättigten Welt immer neue Bedeutung zu finden.
Was daraus entsteht, ist eine Welt, die sich auf Fehlerbehebung konzentriert. Sie fühlt sich gut, aber was sie mit all ihrem Fokus auf das Negative außer Acht lässt, ist das Positive. Die Großzügigkeit, die Fähigkeit, Fehler zu verzeihen, die Einsicht, das Gut besser ist als Richtig.
Warum machen wir das? Haben wir zu viele Menschen, in Wissenschaft und Dienstleistung, die von Fehlern profitieren? Haben wir das Maß für das Gute verloren und suchen deswegen verzweifelt das Richtige und dessen Absicherung? Es ist ein Kulturthema, weil es um Glauben geht, um Werte, um Bestätigung. Mit Innovation hat es nichts zu tun, obwohl die Protagonisten sich gerne als fortschrittlich darstellen, auch nicht mit Politik, aber mit Kultur.
Admin - 23:45:51 | Kommentar hinzufügen