2023-04-15

Erwartungen

In letzter Zeit lese ich zu meiner großen Beruhigung vermehrt auch Positionen bedeutender Meinungsträger, die vor den Heilsversprechen der Digitalisierung warnen. Es ist ja über die vergangenen Jahrzehnte schob eine Bewegung entstanden, die die Digitalisierung zu einer Art Erlösertechnologie erhoben hat, die alles richtet. Es ist aber eher das Gegenteil.
Digitalisierung ist ein evolutionärer Prozess und als solcher weder gut noch schlecht, sondern einfach vorhanden. Digitalisierung setzt an der menschlichen Kernkompetenz an, kollektive Ideen zu entwickeln, die als Teil der Wirklichkeit angesehen werden. Das ist die Schrift ebenso die die Gesetzgebung oder die Religionen und die Götter. Es ist die Straßenverkehrsordnung ebenso wie die Technologien, die wie lehren und benutzen in einer inzwischen radial vernetzten Weise.

Das knüpft an den Göttern an. Die Erfindung der Götter hat die Menschheit erst befähigt, große Ideen zu verfolgen. Es wurde eine Art virtuelle Wirklichkeit erzeugt, die sehr mächtig war und der sehr viel zugetraut wurde. Sie hat sich instanziiert in Religionsgemeinschaften, die das ganz dann operativ betrieben haben, mit Priestern und Heiligen, Regeln und Ritualen, Heilsversprechen und deren Einhaltung mittels starker organisatorischer Strukturen wie Bildungseinrichtungen, Krankenhäusern und dem unmittelbaren Zugriff auf die weltliche Macht.

Digitalisierung ist die logische Fortsetzung. Der Virtuelle Raum, der zunächst wirklich nur in den Köpfen existierte, wird durch Informationsketten und Bilder konkretisiert und ist so noch mächtiger. Die Versprechen werden konkreter und einhaltbarer und das zentrale Heilsversprechen der großen, erlösenden Vereinfachung aller Schwierigkeiten scheint greifbar nahe und wird auch eifrig beschworen.

Doch das Heilsversprechen existiert nicht. Es geht um uns und wie wir uns organisieren.

Wir sind auf einem Scheideweg. Verstehe ich Digitalisierung als Heilsversprechen und erwarte, dass all meine Probleme digital gelöst werden? oder verstehe ich Digitalisierung als Veränderung, deren Eigenschaften wir genau beobachten müssen, wenn wie sie auf die Menschheit loslassen.

Ich wollte gestern mein Punktekonto beim Kraftfahrbundesamt einsehen. Laut Website ist das online möglich, insbesondere weil ich zu den wenigen Bundesbürgern gehöre, die eine Ausweis-App haben. Es ging auch, bis auf den letzten Schritt, der Download des Auskunftsschreibens endete beharrlich in einem Systemfehler. Hier war offenbar wieder mal eine Behörde mit der Dynamik der Digitalen Entwicklungen überfordert.

Ich habe überlegt, ob ich deswegen empört sein muss und mich dagegen entschieden. Der Digitale Behördengang ist zwar bequem aber hat wenig Wert. Er ist sogar zweifelhaft, den eigentlich finde ich es wichtig, von Zeit zu Zeit der Organisation unseres Staates von Angesicht zu Angesicht oder zumindest mit dem Aufwand eines Briefes zu begegnen. Andernfalls wären wir wieder zu nahe am Heilsversprechen.

Digitalisierung katapultiert uns in eine neue Qualität, wie sich die Menschheit organisiert auf ihrer langen Reise vom Jäger und Sammler über die Landwirtschaft und den Städtebau bis zur Industrialisierung und eben jetzt. Das ist eine Entwicklung im rauen Wind der Wirklichkeit. Befeuert von Innovationen, die wiederum selbst dem gnadenlosen Wettbewerb ausgesetzt sind, den die wenigsten überleben. Mit Phasen der Paradiesanmutung und Phasen der bitteren Enttäuschung. Wichtig ist dabei, sich nicht an einen Erlöser auszuliefern, sondern die immer wieder auftretenden Brüche zu akzeptieren. nur dann erhalten wir die treibende Kraft der Innovation.

Admin - 22:03:39 | Kommentar hinzufügen

Kommentar hinzufügen

Die Felder Name und Kommentar sind Pflichtfelder.

Um automatisierten Spam zu reduzieren, ist diese Funktion mit einem Captcha geschützt.

Dazu müssen Inhalte des Drittanbieters Google geladen und Cookies gespeichert werden.