2022-04-10

Kultur

Nachdem wir uns gerade in einer Zeit der Desillusionierung befinden leiste ich mir einen Ausflug in ein sehr altes Thema. Während der große Innovationsschub des Lebens der Sex war, der die Evolutionsgeschichte eingeleitet hat, war der große Innovationsschub der Menschheit die Kultur. Die Fähigkeit, gemeinschaftlich Ideen zu entwickeln, daran zu glauben und sie umzusetzen und so als Gemeinschaft große Dinge zu erreichen, über Grenzen hinweg, über den Lauf der Geschichte hinweg.

Man kann auch sagen, Kultur ist die Bereitschaft, in die Gemeinschaft zu investieren und dadurch ebenso von ihr zu profitieren. Und die Gemeinschaft ist die Gruppe, die das teilt. Darüber findet eine sehr starke Bindung statt, oder auch eine sehr starke Abgrenzung. Der Unterschied zwischen dem „Wir“ und dem „Die“ – der unter Anderem bestimmt, wie Konflikte gelöst werden, in der Suche nach Kompromissen oder im harten Handel, der bis zur Kriegsführung gehen kann.

Kultur setzt sich dabei aus vielen Bausteinen zusammen. Aus Techniken, die genutzt und weitervermittelt werden, aus Regeln, aus Traditionen, aus Glaube und Aberglaube, alles Dinge, die einer Gemeinschaft helfen, mit der Vielfalt ihrer Mitglieder und der Vielfalt ihrer Herausforderungen gut zu überleben. Denn überall gibt es solche und solche, Kluge und Dumme, Dominante und Schüchterne, Schöne und Hässliche, Faule und Fleißige, Kranke und Gesunde. Kultur hält sie zusammen.

Aber Kultur kann auch zerfallen. Kann missbraucht werden. Kann benutzt werden, um zu verführen, zu spalten. Das erleben wir derzeit intensiv. Auf der Weltbühne mit der brutalen Demagogie und Gewalt aus der Russischen Führung, in vielen Ländern im aggressiven nationalistisch und rassistisch geprägten Kulturkampf der Rechten, in ebenso vielen Ländern in der brutalen Überzogenheit der sogenannten politisch Korrekten, die aus einem Moralbegriff heraus Gesellschaften spalten.

Um Kultur muss immer wieder gerungen werden, denn es tauchen ständig neue Fragen auf, die das „Wir“ betreffen. Wir haben uns daran gewöhnt, dass diese Fragen andere für uns beantworten, Gerichte, Regierungen, Meinungsführer. Die Mächtigkeit und Geschwindigkeit des Internets hat gerade die Gruppe der Meinungsführer enorm gestärkt und die politische Debatte nahezu außer Kontrolle gebracht, mit Hass, Blasenbildung und Hochmut. Und das nicht nur bei den Querdenkern und Rechten, auch in anderen Lagern gibt es Hochmut und Verachtung erster Güte, die Arroganz der “Guten” ist gefährlich.

Der Technische Fortschritt, so grandios er auf der einen Seite ist, er verführt dazu, das Ringen um die Kultur zu vernachlässigen. Das erleben wir gerade ziemlich deutlich und darum müssen wir uns kümmern. Es geht oft um Kleinigkeiten. Um den selbstverständlichen Umgang mit anderen, um Aufmerksamkeit, um das Fällen von Urteilen und das eintreten für eine Gemeinschaft, in der sicher niemand perfekt ist. Um die Fähigkeit, zu verzeihen und zu verstehen, Kritik zu üben und zu lernen. Alles in dem Wissen, das wir es selbst sind, um die es geht und die es tun.

Das fühlt sich nicht sofort innovativ an, ist es aber, denn auch Kultur wandelt sich ständig, wenn man sie pflegt und vor dem Verfall bewahrt.

Admin - 21:39:10 | Kommentar hinzufügen

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